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Welche Mikroorganismen dominieren in meinem Sauerteig bei welcher Temperatur?

Jeder Sauerteig ist einzigartig und unterschiedlich zusammengesetzt. Und nach jeder Fütterung verändert sich diese Zusammensetzung an Mikroorganismen wieder. Hier zeige ich dir, bei welcher Teigtemperatur sich Milchsäurebakterien durchsetzen und wann eher die Hefen.

Welche Mikroorganismen gibt es in einem Sauerteig?

In einem Sauerteig gibt es vor allem Milchsäurebakterien und Hefen.

Milchsäurebakterien (LAB = Lactic Acid Bacteria)

Milchsäurebakterien sind verantwortlich für Säurebildung und Aromaprofil deines Sauerteigs. Sie produzieren Milchsäure und Essigsäure und prägen das Aroma sowie den pH-Wert (Säuregrad) des Sauerteigs. Sie sind essenziell für die Haltbarkeit und Teigstabilität. Je nach Temperatur dominiert die Milchsäure oder aber die Essigsäure.

Die beiden Gattungen der Milchsäurebakterien:

Homofermentativ (produzieren nur milde Milchsäure):
Lactobacillus plantarum, L. delbrueckii

Heterofermentativ (produzieren milde Milch- + scharfe Essigsäure und auch ein wenig CO₂):
Lactobacillus sanfranciscensis, L. brevis, L. fermentum


Hefen

In deutschen Sauerteigen dominieren vor allem Saccharomyces cerevisiae und Kazachstania humilis als Haupthefen, ergänzt durch weitere natürliche Hefestämme, die je nach Teigführung und Temperatur variieren können.

Hefen sind zuständig für die Gärung und Teiglockerung in deinem Sauerteig oder Brotteig. Typisch kommen vor:

  • vor allem: Saccharomyces cerevisiae (auch Bäckerhefe)
    Der am häufigsten vorkommende Hefestamm in deutschen Sauerteigen. Er ist verantwortlich für die Gasbildung (CO₂), die den Teig auflockert, und wird häufig auch als Backhefe verwendet. In Roggen- und Weizensauerteigen ist S. cerevisiae meist dominant.
  • Kazachstania humilis
  • Torulaspora delbrueckii

Sauerteig-Charakter je nach Sauerteig-Temperatur?

Ein Sauerteig kann viele verschiedene Charakteristika erhalten, je nachdem bei welcher Temperatur er geführt wird. Vor allem die Hefe-Aktivität und Triebkraft, als auch das Säurespiel zwischen Milchsäure und Essigsäure sind im ständigen Wandel wenn Temperaturen sich verändern oder unterschiedlich gesteuert werden. Hier liest du, welchen Charakter dein Sauerteig bei welcher Temperatur erhalten sollte:

18-21° Sauerteig-Temperatur

Heterofermentative Milchsäurebakterien dominieren, begünstigt durch kühlere Bedingungen. D.h. es wird sowohl Milchsäure, als auch Essigsäure produziert. Die Essigsäureproduktion ist relativ hoch, was zu herberen Aromen führt. Hefen wie Kazachstania humilis (früher Candida milleri) bleiben aktiv, arbeiten aber langsamer. Die Hefeproduktion ist eingeschränkt.

Charakter des Sauerteigs:

  • Triebschwach (vor allem unter 20°)
  • wenig Milchsäure
  • Essigsäure dominiert

Brote, bei denen diese Sauerteig-Temperatur Sinn macht:

  • Rustikale Landbrote
  • kräftige Bauernbrote
  • Dinkelbrote (weil hohe Temperaturen Dinkelteige instabiler machen)

22-25° Sauerteig-Temperatur

Heterofermentative Milchsäurebakterien treten vermehrt auf. D.h. es wird sowohl Milchsäure, als auch Essigsäure produziert. Das Säureprofil ist ausgewogener, mit moderaten Mengen an Milch- und Essigsäure. Durch kürzere Reife entwickelt sich die Säure nicht zu stark, eher ausgewogen. Hefen wie Kazachstania humilis sind recht aktiv.

Charakter des Sauerteigs:

  • Ausgewogene Triebstärke
  • moderate Säure

Brote, bei denen diese Sauerteig-Temperatur Sinn macht:

  • Dinkelbrote (ideale Temperatur für Dinkel: weil hohe Temperaturen Dinkelteige instabiler machen)
  • Dinkelmischbrote (mit Weizen oder Roggenanteil)
  • Weizenbrote (>= 24°)

26-29° Sauerteig-Temperatur

Homofermentative Milchsäurebakterien produzieren verstärkt Milchsäure, was zu einem milderen Geschmack führt. Hefen haben eine deutlich höhere Aktivität und unterstützen die Teiglockerung durch CO₂-Produktion.

Charakter des Sauerteigs:

  • Sehr gute Triebstärke
  • stabil und mild säuerlicher Geschmack
  • Milchsäure dominiert

Brote, bei denen diese Sauerteig-Temperatur Sinn macht:

  • Weizenbrote
  • Weizenmischbrote
  • Dinkelmischbrote (mit Weizen oder Roggenanteil)
  • kräftigere Roggenbrote (wegen längerer Reifezeit werden Roggenbrote saurer bei niedrigen Temperaturen)
  • etwas kräftigere Roggenmischbrote
  • Ruchbrot
  • moderat saures Bauernbrot
  • moderat saures Landbrot
  • Lievito Madre-Brote

30-31°C Sauerteig-Temperatur

Die Milchsäureproduktion dominiert, die Essigsäure wird weniger prägnant. Die Hefen sind noch recht aktiv, vor allem thermotolerante Hefe-Stämme. Durch kurze Reifezeiten bleibt der Sauerteig in der Regel mild, außer er wird überreif.

Charakter des Sauerteigs:

  • Milder Geschmack
  • gute Hefetätigkeit
  • wenig Säurekomplexität
  • Milchsäure dominiert

Brote, bei denen diese Sauerteig-Temperatur Sinn macht:

  • Weizenmischbrote (bedingt; sehr mild; sehr schnelle Reifezeit; für Übernachtgare ungeeignet)
  • Roggenbrote
  • Roggenmischbrote

32+°C Sauerteig-Temperatur

Die Milchsäureproduktion erreicht durch die hohen Temperaturen ihr Maximum, die Essigsäure ist wenig ausgeprägt. D.h. der Sauerteig ist nicht „scharf“ sauer, sondern eher mild-säuerlich. Die Hefen sind gehemmt durch die Temperatur, thermotolerante Stämme bleiben aber aktiv. Bei langer Reife lässt die Triebkraft nach (daher ist diese Temperatur gerade für kurz reifende Roggenteige interessant). Durch kurze Reifezeit bleibt der Sauerteig aber mild.

Charakter des Sauerteigs:

  • Einseitig milchsauer
  • Gefahr von Triebverlust bei langer Führung

Brote, bei denen diese Sauerteig-Temperatur Sinn macht:

  • Roggenbrote (32-33 Grad maximum)

Zusammenfassung

Kalt (18–22 °C) : mehr Essigsäure, kräftiges Aroma, langsame Reifung, geringe bis mittlere Triebstärke (ideal für dinkellastig)

Mittel (26 °C) : optimaler Kompromiss, milde Milchsäure, ausgewogener Geschmack, hohe Triebstärke (ideal für weizenlastig)

Warm (30–32 °C) : mild, schnelle Entwicklung, weniger Säurekomplexität, hohe (bis bei 32 °C abnehmende) Triebstärke (ideal für roggenlastig)

Wie ist das mit der Raumtemperatur und bei Roggen im Speziellen?

Die Raumtemperatur hat einen großen Einfluss, weil sie sich am Ende auch bei der Teigtemperatur durchsetzen wird. Ein kühler Sauerteig, den du in einen warmen Raum stellst, wird mit der Zeit zimmerwarm. Und umgekehrt kühlt sich Sauerteig ab, wenn er warm in einen kalten Raum gestellt wird. Manche Weizensauerteige (zB der Lievito Madre) werden warm gestellt, damit sie schnell reifen und so mild bleiben. Dafür müssen sie nicht unbedingt selbst auch warm angesetzt werden. Das führt am Ende zu einer sehr hohen Triebstärke und milden Säureausprägung.

Der Roggensauer wird in der Regel wärmer angesetzt als der Raum, in dem er am Ende reift (zB Teigtemperatur 30 Grad und Raumtemperatur 22 Grad, bei Reife über Nacht). Zumindest bei der einstufigen Sauerteig-Führung. Bei 2 Stufen ist das nur bei der ersten Stufe der Fall und dann bei der 2. Stufe eher wir bei einem Lievito Madre. Er wird dann warm angesetzt und reift in kurzer Zeit bei warmen Temperaturen fertig. So erreicht man am Ende eine gute Kombination aus Triebstärke durch hohe Hefe-Aktivität und eine milde Säure. Das Roggenbrot selbst reift dann auch kurz und warm. Durch hohen Sauerteiganteil bei Roggenbroten würde das Brot ansonsten zu sauer werden.

Was beeinflusst noch die Dominanz von MSB und Hefen?

Nicht nur die Temperatur hat eine direkte Auswirkung auf die Zusammenspiele von Milchsäurebakterien und Hefen. Auch andere Faktoren haben hier Gewicht:

Teigausbeute (TA)

Ein weicher Teig (hohe TA) fördert die Aktivität der Hefen und milder arbeitender Milchsäurebakterien. Ein festerer Teig (niedrige TA) begünstigt dagegen die Essigsäureproduktion und damit eher MSB.

Mehltyp

Roggenmehl unterstützt vor allem Milchsäurebakterien – insbesondere heterofermentative Arten. Weizenmehl schafft günstigere Bedingungen für Hefen, da es enzymatisch weniger aktiv ist und besser gelockert werden muss.

Führungsart

Eine feste Führung (z. B. bei Lievito Madre, vor allem wenn er warm geführt wird) führt zu einer stärkeren Hefe-Aktivität und milder Milchsäurebildung (homofermentativ). Flüssige Führungen fördern hingegen mehr Säure und begünstigen MSB.

Anstellgutmenge

Viel Anstellgut sorgt für einen schnellen pH-Abfall und weniger Zeit für Hefevermehrung > Milchsäurebakterien dominieren eher. Wenig Anstellgut gibt den Hefen mehr Raum zur Entwicklung.

Führungsdauer

Kürzere (und vor allem warme) Führungen lassen Hefen dominieren, weil sie schneller CO₂ produzieren. Bei längerer Reifung können sich Milchsäurebakterien durchsetzen und das Säureprofil prägen.

Fütterungsrhythmus

Häufiges Füttern (z. B. bei täglicher Auffrischung) hält die Hefen aktiv. Längere Pausen ohne Fütterung verschieben das Gleichgewicht in Richtung Säure.

Salzzugabe

Salz hemmt grundsätzlich beide Mikroorganismengruppen, aber Hefen reagieren empfindlicher. Dadurch kann Salz gezielt die Milchsäurebakterien-Aktivität betonen.

Sauerstoffzufuhr

Aerobe Bedingungen (z. B. durch Umrühren oder Belüften) können einige Hefen fördern, während Milchsäurebakterien tendenziell unter Sauerstoff weniger aktiv sind.

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Über mich

Mein Name ist René und eigentlich würde ich mich niemals selbst als Bäcker bezeichnen. Aber für meine Familie bin ich „der Bäcker“. Und weil mir das Backen von Brot unendlich Freude bereitet, versuche ich hier für mich und andere eine Sammlung an Brotback-Wissen und vielen Rezepten zu schaffen. Viel Spaß damit!

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