Die Übergare kann dein Brotergebnis völlig vermasseln. Einen überreifen Teig zu erkennen, gehört zu den schwierigeren Fähigkeiten, die du beim Brotbacken erlernen kannst. Und leider ist es auch eine der wichtigsten Fähigkeiten, so dass du das Thema nicht einfach so ignorieren kannst. Ich erkläre dir in diesem Artikel alles, was du zur Übergare wissen musst.
Was bedeutet Übergare beim Brotbacken?
Brotteige werden als übergar bezeichnet, wenn sie zu lange gereift sind. Das gebildete Teiggerüst hat bereits teilweise oder vollständig abgebaut. Mit mehr oder weniger schlimmen Auswirkungen auf das Brot, das du backen möchtest. Übergare Brotteige produzieren in der Regel keine attraktiven Brote mehr, zumindest dann nicht, wenn die Übergare eine gewisse Grenze erreicht hat.
Wie sieht die Krume bei der Übergare aus?
Je weiter die Übergare fortgeschritten ist, desto feiner wird deine Krume. Selbst wenn du alles andere richtig gemacht hast, damit dein Brot eine offene und luftige Krumenstruktur bekommen kann…eine zu lange Reifephase verhagelt dir dein Brotbackergebnis. Je nach Mehl/Teig, hat die zu lange Reife dann mehr oder weniger unschöne Auswirkungen.
- Die Krume hat eine feine Porung (ggfs. in Verbindung mit ein paar größeren Löchern)
- die Krumenstruktur wird gedrungen
- die Krume und das Brot an sich werden “schwer”
- Brote werden flacher, die Scheiben schmaler. Der ausbleibende Ofentrieb kann die Krume nicht luftig machen.
Beispiel für eine Krume bei einem Brot mit leichter Übergare: Du siehst eine feine Porung, und ein paar größere Lufteinschlüsse. Das Brot ansich ist sehr lecker (und in meinem Blog auch übrigens sehr beliebt), aber mit einer besseren Reifestufe wäre es noch besser und offener geport worden.
Was macht die Übergare mit der Brotkruste?
Auch die Brotkruste leidet unter der Übergare. Wenn das Glutengerüst abgebaut hat, dann ist es so schwach, dass kein oder wenig Ofentrieb zu erwarten ist. Der Ofentrieb gibt deinem Brot Volumen und ist wichtig, damit du einen schönen “Ausbund” produzieren kannst.
Der Ausbund beschreibt die Stelle auf deinem Brot, an der es aufreißt. Entweder du setzt einen Schnitt kurz vor dem Backen an oder aber du bäckst dein Brot mit einer rustikalen Kruste. Egal wie, der Druck im Brot muss irgendwo hin und durch einen Riss mehr oder weniger kontrolliert abgeleitet werden.
Wenn dein Brotteig überreif ist, ist der Ofentrieb so schwach und die Teighaut so wenig auf Spannung, dass der aufreißende Effekt schlicht verpufft. Somit wird dein Brot nicht nur flach, sondern hat auch keinen schönen Aufriss. Die Kruste wird dann borkig, unschön glatt und ggfs. auch fahl.
Beispiel für die Kruste bei Übergare: Die Schnitte sind zu sehen, kommen aber nicht richtig raus. Die Kruste wird auch nicht wirklich knusprig, sondern eher zäh:
Ein weiteres Beispiel einer fahlen Kruste, ohne schönen Ausbund. Der Schnitt viel zu weit gerissen:
Wie schmecken übergare Brote?
Nach all den schlechten Nachrichten eine gute Nachricht:
Übergare Brote können hervorragend schmecken. Zumindest dann, wenn die Übergare nicht schon zu stark war. Durch mehr Zeit entstehen im Brot mehr Aromen. Nur wenn die Überreife deutlich zu lang war, kippt das Aromenbild. Brote werden dann ggfs. zu sauer.
Wieso werden Brotteige überreif?
In der Teigentwicklung wandeln Enzyme die Stärke von Mehl nach Verbindung mit Wasser in Zucker um. Diese einfachen Zucker werden von den Hefen verstoffwechselt. Dadurch entsteht CO2 im Teig, welches im Glutengerüst gefangen wird. Erst dann geht dein Teig überhaupt auf.
Ist die Stärke ganz abgebaut, haben die Hefen kein Futter mehr, die Vollgare ist erreicht. Langsam aber sicher übersäuert ab diesem Zeitpunkt dein Teig. Die Säuren und ggfs. entstehende Alkohole führen nicht nur zu unschönen Aromen-Spitzen, sondern schwächen auch noch das Teiggerüst. Das Gas kann nicht mehr gehalten werden, der Teig kollabiert. Das bedeutet, dass die “Gärtoleranz” deines Teiges überschritten ist. Vor allem je nach Mehlsorte im Teig, kann die Gärtoleranz größer oder kleiner sein.
Beispielvideo mit einem überreifen Teig: Bei Erschütterung durch den „Falltest“ kollabiert der Teig und drückt die Luft nach außen:
Übergare in der Stockgare
Die Übergare kann dich in 2 Reifephasen des Hauptteigs erwischen: In der ersten Phase, der “Stockgare” und in der zweiten Phase, der “Stückgare”. In der Stockgare reift dein Teig zum vollen Volumen an. Das Teiggerüst wird produziert, die Hefen stoßen das CO2 für die Luftigkeit aus. Nach der Stockgare wird der Teig geformt und geht in die Stückgare. Wenn dein Teig in der Stockgare überreif wird, kannst du ihn kaum noch retten. Ist das Teiggerüst in der ersten Reifepase mal abgebaut, wird es dir schwer fallen ihn in der Stückgare noch zu retten.
Beispiel für einen Teig, der nach der Stockgare deutlich zu weit war: Er ist stark fermentiert, das Volumen hat sich massiv vergrößert:
Die Volumenvergrößerung lag bei ca. 400%
Du wirst merken, dass dein zu reifer Teig dann schwer zu formen ist. Der Teig ist weniger elastisch und dehnbar. Ihn auf Spannung zu bringen und zu wirken fällt dir zunehmend schwer. Auch wird der Teigling klebriger. Ohne viel Erfahrung kannst du dann den Teigling nur noch irgendwie formen, damit überhaupt ein Brot daraus wird. Im schlimmsten Fall musst du den Weg über eine Kastenform gehen.
Übergare in der Stückgare
War die Stockgare noch gut getroffen, kann dich die Übergare aber noch in der 2. Reifephase nach dem Formen treffen. Die ist essentiell für das perfekte Brotergebnis. Reift dein Teig in dieser Phase zu kurz oder zu lang, wird dein Brot nicht das sein, was du dir erhofft hast. Du solltest die Stufen 2 oder 3 der folgenden 4 Stufen der Stückgare erreichen:
- Untergare
- knappe Gare (Teig hat Ofentrieb für einen schönen Ausbund)
- Vollgare (bei Broten mit gewollt glattem Ausbund)
- Übergare
Übergare im Sauerteig oder Vorteig
Auch im Sauerteig oder Vorteig ist eine Überreife möglich. Im Prinzip verhält es sich hier genauso wie beim Hauptteig deines Brots: Sind sie überreif, sind sie weniger fähig ein schönes Brot zu treiben und fermentieren. Das Aroma leidet, die Triebkraft ebenso.
D.h. versuche deine Vorteige nicht zu lange reifen zu lassen, so dass sie schon völlig kollabieren. Versuche sie “am Peak” einzusetzen, also bei bestem Aromenspektrum und bei maximaler Triebkraft. Ist es mal versehentlich passiert und dein Vorteig zu reif, verwende etwas Hefe im Hauptteig als Unterstützung und setze den Vorteig nur als Aromengeber ein.
Beispiel für einen Sauerteig „am Peak“: Du erkennst die Wölbung nach oben. Die nächste Stufe ist dann die Überreife.
Wie erkenne ich, ob mein Brotteig in der Übergare ist oder war vor dem Backen?
10 Anzeichen für Übergare
- Der Teig ist „schwabbelig“ und fällt bei Erschütterung in sich zusammen
- Der Teig weist sehr viele und teilweise auch große Luftbläschen auf
- Der Teig zeigt deutliche Anzeichen von Überfermentierung
- Der Teig springt beim Fingertest nicht wieder in die Ursprungsposition zurück
- Dein Schnitt bildet sich nicht in der Kruste aus
- Dein Messer reißt beim Schnitt die Teighaut mit sich
- Die Krume ist eher fein (ggfs. mit ein paar einzelnen, größeren Blasen)
- Die Kruste wird borkig, fahl und eher flach
- Dein Brot wird flach
- Dein Brot wird sauer
Durch Übergare ein zu flaches Brot in „Ufo“-Form. Der Boden leicht nach oben gewölbt. Der Deckel leicht eingefallen bzw. flach:
Deutlich zu reifer Teig. Die Luft wird nach außen gedrückt. In den Blasen sieht man das reißende Teiggerüst:
Der Einschnitt des Teiglings wird stark ausgeweitet. Die Fermentation ist zu weit, der Teig reißt auch im Schnitt.
Hier siehst du das Einschneiden im Video: Die Teighaut wird vom Messer mitgerissen. Das passiert bei Übergare und/oder bei sehr hoch hydrierten Teigen.
Der Trick mit dem kleinen Glas
Ich nehme gerne 30-40g vom Hauptteig ab und gebe diesen Teig in ein sehr kleines Marmeladenglas. Das sollte einigermaßen schmal sein. Du kannst in diesem Glas die Volumenvergrößerung besser erkennen. In einigen Rezepten ist von einer Volumenverdopplung die Rede, die immer nur eine grobe Richtlinie ist. Verwendest du eine sehr große Teigwanne, kannst du die Volumenvergrößerung schlecht erkennen.
Fingertest
Der Fingertest ist dafür da um zu erkennen, ob dein geformter Teig in der Stückgare den richtigen Reifegrad erreicht hat. Du stupst mit 1 oder 2 Fingern ca. 1 cm tief in Teig:
- Teig springt sofort zurück: Untergare
- Teig spring langsam zurück: knappe Gare
- Teig springt kaum und sehr langsam zurück: Vollgare
- Teig spring nicht mehr zurück: Übergare
Übergare hinauszögern
Du kannst die Übergare hinauszögern, indem du deinen Teig kühler stellst. Hast du Angst, dass du deinen Teig nicht rechtzeitig backen kannst (weil dir vielleicht was dazwischengekommen ist), dann parke deinen Teig im Kühlschrank. Dadurch kannst du (je nachdem wie weit dein Teig schon war) die Stockgare und auch die Stückgare sehr weit verzögern.
Diese Gärverzögerungs-Methode macht man sich bei der kalten Übernachtgare zu Nutze. Beispielsweise wird der Teig in der Stockgare nach 2-3 Stunden Anspringzeit in den Kühlschrank gestellt. Dort reift er dann 24 bis sogar 48 oder 72 Stunden langsam zu Ende. Und auch das geformte Brot kann in der Stückgare im Kühlschrank gelagert werden. Diese Methode verwende ich sehr gerne, weil sie sehr viel Flexibilität am Backtag ermöglicht und weil dadurch die Brote am schönsten werden.
Übergare bei No Knead Broten oder warmer Übernachtgare
Es gibt Brot-Rezepte, die sind prädestiniert dafür, überreife Brote zu erzeugen. Und da gehören definitiv No Knead Brote dazu. Sie werden nur angerührt und dann meist über Nacht im Raum stehen gelassen. Das Risiko, dass zu viel Triebmittel verwendet oder die Reifezeit falsch berechnet wurde, ist extrem hoch.
Über Nacht fehlt der prüfende Blick auf die Reifephasen und am Morgen wirst du nicht selten negativ überrascht. Der Teig ist dann einfach über Nacht zu lange gereift. Ich empfehle eher kalte Übernachtgaren, weil die Gefahr eines Fehlschlags deutlich geringer ist.
Überreife Teige formen
Wenn dein Teig sehr reif oder gar überreif ist, weist der Teigling beim Formen nicht die nötige Elastizität und Dehnbarkeit auf. Das heißt, er reißt dann recht schnell und klebt auch deutlich mehr an deinen Fingern. Schnelles Arbeiten und das Anfassen von ausschließlich bemehlter Teighaut ist dann essentiell. Kannst du deinen Teig nicht mehr richtig formen, verwende eine Kastenform. Darin bekommt das Brot dann automatisch die entsprechende Form.
Falls du dir hier Geheimtipps zur Aufarbeitung von überreifen Teigen suchst, kann ich dir leider nicht weiterhelfen. Auch für mich ist es eine Herausforderung so schwierige Teigstufen noch in eine gewisse Form zu bringen. Nur die Erfahrung über die Zeit hilft dir mit übergaren Teigen umzugehen. Die Geschicklichtkeit dazu kannst du nur über Fehlschläge und einige klebrige Hände erwerben.
Forme deine überreifen Teig am besten mit viel Mehl und rund. So kriegst du am besten noch Spannung in den Teig, der dann nicht sofort reißt.
Im Gärkorb kannst du ggfs. den Teig noch etwas nachstraffen
Überreife Teige retten
Ein überreifer Teig ist und bleibt überreif. Das zerstörte Teiggerüst kann nicht repariert werden. Wird dein Teig aber in der Stückgare übergar, kannst du ihn nochmal versuchen neu auf Spannung zu formen und dann nach kurzer 2. Stückgare backen. Erwarte dann kein Highlight, aber zumindest ein essbares Brot kannst du noch aus dem Ofen holen. Die Krume wird dann zwangsweise recht fein werden, zum Alltagsbrot reicht es aber vermutlich. In der Stockgare kannst du keine teigrettenden Maßnahmen unternehmen, wenn die Übergare zu weit ist.
Übergare=Brotfehler?
Ist die Übergare Ursache für Brotfehler? Definitiv. Für mich stellen Untergare und Übergare die häufigsten Gründe für Brotfehler dar. Aber resultiert aus Übergare zwangsweise immer ein Brotfehler? Nicht unbedingt.
Das Spiel mit der Übergare-Grenze
Für mich ist das Anfangsstadium der Übergare ein reizvolles Stadium. Bei richtig guten Broten, mit der für mich idealen Krumenstruktur und dem besten Geschmack, ist eine gewisse Gratwanderung zwischen knapper Gare, Vollgare und Beginn der Übergare nötig. Das birgt tolle Chancen auf richtig schöne Brote, aber auch Fehlschlagpotential.
Dieses Drittelbrot (sehr lecker!) liegt sehr stark an der Grenze zur Übergare. Aromatisch gewinnt das Brot damit sehr stark, die Aufarbeitung ist aber eine Herausforderung:
Risikofaktoren für die Übergare
- Zeit
Die Zeit arbeitet auf Dauer immer gegen deinen Teig. Du kannst die Zeit verzögern oder verkürzen (durch Wärme und Kälte), aber aufhalten kannst du sie nicht. D.h. irgendwann wird jeder Teig überreif. - Mehl
Die Mehlsorte und ggfs. auch das Mahlverfahren, sind sehr essentiell daran beteiligt, wenn es um die Gärtoleranz deines Brotteigs geht. Ein Teig aus backstarkem Mehl, mit viel Glutengehalt, kann deutlich länger reifen als ein Teig aus backschwachem Mehl. Der sogenannte W-Wert gibt Aufschluss darüber, wie Gärtolerant dein Teig werden kann. Diese Info kriegst du bei uns leider kaum beim Kauf von Mehl. Du kannst dich am Eiweißgehalt orientieren: 11-12g+ Eiweißgehalt/Proteingehalt weisen auf ein backstärkeres Mehl hin. Im Umkehrschluss bedeutet das dann natürlich: Benutzt du ein backschwaches Mehl, wird das kürzere Reifezeiten und Gärtoleranzen für deinen Brotteig bedeuten. - Triebmittelanteil
Je mehr Sauerteig oder Hefe du einsetzt, desto schneller reift der Teig. Und desto kürzer ist auch der Zeitraum, in dem sich die Teigreifestufen bewegen können. Verwendest du also zu viel Triebmittel, musst du in kürzerer Zeit verstärkt darauf achten, dass dir dein Teig nicht überreif wird. - Temperatur in Teig und Raum
Je wärmer der Teig und/oder je wärmer der Raum, in dem der Teig reift, desto schneller ist der Teig auch fertig gereift. 5 Grad mehr Temperatur bedeuten eine Halbierung der Reifezeit und umgekehrt bedeuten 5 Grad weniger Temperatur die Verdopplung der Reifezeit. Im Sommer hast du höhere Temperaturen von Mehl, Leitungswasser, Zimmer, etc. Die Reifezeiten werden zwangsläufig kürzer und somit auch die Gärtoleranz deines Teiglings. Du musst im Sommer also dieses Risiko für mögliche Übergare verstärkt im Blick behalten.
Übergare bei Dinkel- und Roggenteigen
Dinkelteige sind etwas weniger Gärtolerant als Weizenteige. Hier hilft Ascorbinsäure oder Vitamin C, damit der Teig stabiler ist und länger reifen kann.
Natürlich können auch Roggenteige überreif werden. Allerdings merkt man das optisch nicht so stark wie bei weizenlastigen Teigen. Ein typisches Merkmal von Broten aus übergaren Roggenteigen ist eine sehr starke Säurelast. Dadurch, dass bei Roggenbroten bis zu 50% des Mehls versäuert werden über einen Sauerteig, schlagen die Säurenoten bei zu viel Reifezeit deutlicher durch. Die Krume kann aber auch bei Roggenbroten noch feiner und schwerer werden.
Beispiel für einen übergaren Teig mit hohem Roggenanteil. Er glänzt, wird flüssig, das Formen wird fast unmöglich.